Die Bedeutung der Nabelschnur aus ganzheitlicher Sicht - und warum sie unbedingt auspulsieren sollte

In der westlichen Welt und der modernen Geburtshilfe gewinnt die ganzheitliche Betrachtung der Nabelschnur und das Auspulsieren vor deren Durchtrennung zunehmend an Bedeutung. Dieser Prozess, bei dem das Blut in der Nabelschnur nach der Geburt vollständig zum Neugeborenen fließt, hat immense gesundheitliche Vorteile. In diesem Artikel beleuchten wir die physiologischen, immunologischen und kulturellen Aspekte dieser Praxis und warum sie für das Wohlergehen des Neugeborenen so wichtig ist.

1. Was genau ist mit “Auspulsieren” der Nabelschnur gemeint?

Das Auspulsieren der Nabelschnur bezieht sich auf den Vorgang, bei dem die Nabelschnur nach der Geburt nicht sofort durchtrennt wird. Stattdessen wartet man, bis das Blut in der Nabelschnur aufhört zu pulsieren. Dies dauert in der Regel zwischen 3 und 10 Minuten. Eine vollständig auspulsierte Nabelschnur ist erkennbar, wenn sie nicht mehr pulsiert und eine weißliche, schlaffe Konsistenz angenommen hat.

2. Physiologische Vorteile einer auspulsierten Nabelschnur

  • Erhöhung des Blutvolumens

Durch das Auspulsieren erhält das Neugeborene etwa ein Drittel mehr Blutvolumen. Diese zusätzliche Blutmenge ist entscheidend, da sie den Blutdruck stabilisiert und die Organversorgung verbessert. Eine höhere Blutmenge bedeutet mehr rote Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport im Körper verantwortlich sind. Studien haben gezeigt, dass dies zu einem Anstieg der roten Blutkörperchen um bis zu 60% führen kann (McDonald & Middleton, 2008).

  • Eisenreserven

Der zusätzliche Blutfluss bringt etwa 40-50 mg/kg Eisen mit sich, was für die Entwicklung und das Wachstum des Neugeborenen entscheidend ist. Eisen ist notwendig für die Bildung von Hämoglobin, das den Sauerstofftransport im Blut ermöglicht. Ein ausreichender Eisenspeicher verhindert eine frühe Eisenmangelanämie, die mit Entwicklungsverzögerungen und kognitiven Beeinträchtigungen verbunden ist (Andersson et al., 2011).

  • Sauerstoffaustausch

Ein sanfter und problemloser Sauerstoffaustausch wird durch die zusätzliche Blutmenge gewährleistet, was insbesondere in den ersten Minuten nach der Geburt lebenswichtig ist. Dieser zusätzliche Sauerstoff hilft dem Neugeborenen, die Umstellung von der Plazentaatmung zur Lungenatmung zu bewältigen.

  • Entwicklung des Immunsystems

Die Nabelschnur enthält wertvolle Stammzellen, die eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Immun-, Respirations-, zentralen Nerven- und Herz-Kreislaufsystems spielen. Diese Zellen unterstützen die Reifung und Funktionsfähigkeit dieser Systeme nachhaltig (Mercer & Erickson-Owens, 2012).

3. Mikrobiom und Stoffwechsel

Auch das Mikrobiom des Neugeborenen spielt in diesem Zusammenhang wiederum eine Rolle. Zur Erinnerung: Das Mikrobiom besteht aus einer Vielzahl von wertvollen und mitunter lebensnotwendigen Mikroorganismen, die sich auf der Haut, zum Großteil im Darm und auch in anderen Körperregionen befinden. Diese Mikroorganismen sind für die Immunabwehr, die Verdauung und vielfältige Stoffwechselprozesse einfach essenziell.

Diskussion über den Transfer von Mikroorganismen

Der Transfer von Mikroorganismen über die Plazenta ist seit Jahren ein kontrovers diskutiertes Thema in der Wissenschaft. Und beide Lager werden durch teils widersprüchliche Forschungsergebnisse unterstützt. Einige Studien deuten z.B. darauf hin, dass Mikroorganismen oder jedenfalls deren Stoffwechselprodukte während der Schwangerschaft die sog. Plazentaschranke überwinden und das fetale Mikrobiom beeinflussen können (Aagaard et al., 2014).

Andere Forschungen bestreiten eine Exposition des Babys im Mutterleib und argumentieren, dass das intrauterine Umfeld komplett steril sei und das Neugeborene erst während des Geburtsprozesses durch die mütterliche Vaginalflora und im direkten (Haut)Kontakt mit seinem Umfeld vielfältige Mikroorganismen aufnimmt (Perez-Muñoz et al., 2017).

Plazentaschranke und Mikrobiom

Ungeachtet der Kontroverse ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Plazenta eine hochkomplexe Struktur ist, die neben Nährstoffen auch Immunfaktoren und höchstwahrscheinlich andere mikrobiologische Substanzen passieren lässt. Einige Wissenschaftler vermuten deshalb, dass zumindest die mikrobiologischen Stoffwechselkomponenten auf das Immunsystem des Fötus einwirken und es auf die mikrobielle Welt vorbereiten, der es nach der Geburt begegnen wird (Korpela et al., 2018).

Einfluss des Auspulsierens auf das Mikrobiom

Das Auspulsieren der Nabelschnur könnte in diesem Kontext nunmehr einen Einfluss auf das Mikrobiom des Neugeborenen haben: Ein Ansatz ist, dass durch das Auspulsieren nicht nur Blut, sondern auch wertvolle Plazentafaktoren übertragen werden, die die Urprägung des kindichen Darmmikrobioms modulieren. Einige Studien zeigen, dass diese Faktoren das Wachstum spezifischer Bakterienarten fördern, die für die frühe Immunentwicklung wichtig sind (Korpela et al., 2018). Darüber hinaus könnte das erhöhte Blutvolumen die Mikrozirkulation im Darm verbessern, was die Ansiedlung nützlicher Bakterien unterstützt.

Eine eigene Theorie aus meiner Sicht als Wissenschaftlerin über das Mama-Baby-Mikrobiom ist, dass der verlängerte Kontakt mit der Plazenta während des Auspulsierens eine Art "biologisches Fenster" öffnet, durch das Immunmodulatoren und Mikroorganismen in den kindlichen Kreislauf gelangen können. Die Nabelschnur, die nach der Geburt gegenüber der Außenwelt exponiert ist und von der vaginalen Flora überzogen wird, hat weiterhin Kontakt mit der Plazenta, die zunächst noch in der Mutter verbleibt. Diese einzigartige Situation ermöglicht einen intensiven mikrobiologischen Cross-Talk zwischen Nabelschnur und Umwelt, der direkt an den kindlichen Organismus angebunden ist. Es könnte sogar sein, dass durch diese Exposition der Nabelschnur mikrobiologische Faktoren entstehen, die an das Baby weitergegeben werden, solange noch Blut in der Nabelschnur fließt. Dies würde eine besondere mikrobiologische Besiedelung initiieren, die das Immunsystem und den Stoffwechsel des Babys langfristig stärkt.

4. Einfluss auf die Lungenatmung

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Regulierung der Lungenatmung. Das Foramen ovale, eine Öffnung im Herzen des Fötus, die den Blutfluss zwischen den Vorhöfen ermöglicht, verschließt sich in der Regel kurz nach der Geburt. Eine intakte Nabelschnur unterstützt diesen Prozess, indem sie weiterhin sauerstoffreiches Blut liefert und einen sanften Übergang zur Eigenatmung ermöglicht.

  • Erklärung des Foramen ovale

Das Foramen ovale ist eine anatomische Öffnung im Herzen des Fötus, die den Blutfluss vom rechten zum linken Vorhof ermöglicht, wodurch das Blut die noch nicht belüfteten Lungen umgeht. Nach der Geburt und mit Beginn der Lungenatmung steigt der Druck im linken Vorhof, was zum Verschluss des Foramen ovale führt. Dieser Prozess ist wichtig für die Umstellung von der fetalen zur normalen Neugeborenen-Kreislauffunktion.

  • Förderung der Lungenatmung

Das Auspulsieren der Nabelschnur trägt dazu bei, dass der Wechsel von der “Plazentaatmung” zur Lungenatmung reibungslos verläuft. Durch den zusätzlichen Blutfluss bleibt der Sauerstoffgehalt im Blut des Neugeborenen stabil, was den Druck im linken Vorhof erhöht und den Verschluss des Foramen ovale unterstützt. Dies fördert eine effektive Atmung und die Anpassung des Kreislaufsystems an die extrauterine Umgebung.

5. Kulturelle und spirituelle Bedeutung

In vielen Kulturen wird der Nabelschnur eine spirituelle Bedeutung beigemessen. Zum Beispiel betrachten einige indigene Gemeinschaften die Nabelschnur als Verbindung zwischen dem Kind und seinen Vorfahren und behandeln sie mit besonderem Respekt. Auch in der westlichen Naturheilkunde wird die Würde und respektvolle Behandlung der Nabelschnur betont.

Eine hierzulande oft merkwürdig anmutende Praxis ist die sog. “Lotusgeburt”, bei der die Nabelschnur nicht durchtrennt wird und am Baby bleibt, bis sie von selbst abfällt, ist eine Praxis, die einige Befürworter in der ganzheitlichen Geburtshilfe findet. Trotz der potenziellen Vorteile wie einer weniger traumatischen Abnabelung, gibt es Risiken, wie etwa Infektionen, die bei dieser Methode auftreten können. Daher wird diese Praxis trotz ihrer spirituellen und symbolischen Bedeutung nicht allgemein empfohlen.

6. Fazit

Das Auspulsieren der Nabelschnur ist eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um die Gesundheit und das Wohlbefinden des Neugeborenen zu fördern. Durch den zusätzlichen Blutfluss werden nicht nur die Sauerstoffversorgung und Eisenreserven des Babys verbessert, sondern auch die Entwicklung des Immunsystems und die Anpassung an die Lungenatmung unterstützt. Angesichts der wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und der ganzheitlichen Vorteile dieser Praxis sollte sie in der modernen Geburtshilfe vermehrt Beachtung finden


Quellen

  • Andersson, O., et al. (2011). Effect of Delayed vs Early Umbilical Cord Clamping on Neonatal Outcomes and Iron Status at 4 Months: A Randomized Clinical Trial. JAMA, 307(24), 2540-2549.

  • McDonald, S.J., Middleton, P. (2008). Effect of timing of umbilical cord clamping of term infants on maternal and neonatal outcomes. Cochrane Database of Systematic Reviews, (2).

  • Mercer, J.S., Erickson-Owens, D.A. (2012). Is it time to rethink cord management in the term newborn? Journal of Midwifery & Women's Health, 57(6), 682-689.

  • Yao, A.C., Lind, J. (1974). Placental transfusion. American Journal of Diseases of Children, 127(1), 128-141.

  • Arrieta, M.C., et al. (2014). The Intestinal Microbiome in Early Life: Health and Disease. Frontiers in Immunology, 5, 427.

  • Korpela, K., et al. (2018). Maternal fecal microbiota transplantation in Cesarean-born infants rapidly restores normal gut microbial development: a proof-of-concept study. Cell, 175(2), 426-434.

Diese Quellen bieten einen umfassenden Überblick über die wissenschaftlichen Hintergründe und gesundheitlichen Vorteile des Auspulsierens der Nabelschnur und unterstreichen die Relevanz dieser Praxis in der modernen Geburtshilfe.

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