Das Mikrobiom und seine Bedeutung für Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit

Stell dir einen geheimen Garten vor, voller magischer und fantastischer Gewächse und Lebewesen. Dieser Garten ist lebendig, pulsierend und in ständiger Veränderung, immer bestrebt, das perfekte Gleichgewicht zu finden. So ungefähr verhält es sich mit deinem Mikrobiom – den Milliarden von Mikroorganismen, die auf und in unserem Körper leben. Besonders in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der Stillzeit spielt das Mikrobiom eine entscheidende Rolle für die Gesundheit von Mutter und Kind. Das Ideal einer „keimfreien Geburt“ ist zwar schon länger verschwunden – aber mittlerweile entdecken wir immer mehr Vorzüge ganz bestimmter Mikroorganismen für die menschliche Gesundheit – und gerade deine Bakterien sind das Beste, was dein Baby bei seinem Start ins Leben bekommen kann.

Die Besiedelung mit einem besonders günstigen, natürlichen Spektrum an Mikroorganismen, das wir von unserer Mutter weitergegeben bekommen, ist tatsächlich die Wiege unseres eigenen Mikrobioms – die Urprägung.  Und diese ist eine entscheidende Konstante für unsere Gesundheit und beeinflusst alle nur denkbaren Organsysteme, von Immunsystem über die Barrierefunktion der Darmschleimhaut bis hin zur mentalen Gesundheit über unsere sog. Gut-Brain-Axis. Bedenke einmal, dass schon der Magen-Darm-Trakt eines frisch geborenen Babys Enormes leistet: Nahrung aufnehmen, sie wellenförmig weiterleiten, verarbeiten, verstoffwechseln, ausscheiden. Es dauert rund 6 Monate, bis sich diese Vorgänge gut entwickelt haben und ein Baby bereit für die nächsten Schritte in der Ernährung und Verdauung ist. In dieser Zeit mühen sich viele Babys leider immer wieder auch mit Verdauungsbeschwerden ab. Das ist in einem gewissen Rahmen natürlich und auch nicht therapiebedürftig. Sollten aber gewisse Umstände für eine Fehlbesiedelung oder eine gestörte Urprägung sprechen (z.B. duch Antibiotika während der Schwangerschaft oder unter der Geburt), kann die gezielte Darmtherapie und die individuell abgestimmte Gabe gewisser probiotischer Präparate deinem Baby beim Aufbau einer gesunden, stabilen Darmflora helfen.

 

Reminder: Was ist das Mikrobiom?

Das Mikrobiom besteht aus Billionen von Mikroorganismen, darunter Bakterien, Viren, Pilze und andere Mikroben, die in und auf unserem Körper leben. Diese Mikroben besiedeln verschiedene Körperregionen wie die Haut, den Darm, die Mundhöhle und die Vagina. Jede dieser Mikrobengemeinschaften hat einzigartige Eigenschaften und Funktionen, die entscheidend für unsere Gesundheit sind. Das Darmmikrobiom beispielsweise ist bekannt für seine Rolle bei der Verdauung und der Immunfunktion, während das Vaginalmikrobiom eine wichtige Schutzbarriere gegen Infektionen darstellt (Sender et al., 2016).

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Ein gesundes Mikrobiom ist entscheidend für das Immunsystem, den Stoffwechsel und sogar für die neurologische Gesundheit. Studien zeigen, dass ein ausgewogenes Mikrobiom Entzündungen reduzieren und das Risiko für chronische Krankheiten senken kann (Lynch & Pedersen, 2016).

Urprägung spätestens unter der Geburt

Während der Schwangerschaft verändert sich dein Körper auf vielfältige Weise, um das Wachstum und die Entwicklung deines Babys zu unterstützen. Dein Vaginalmikrobiom spielt eine besonders wichtige Rolle in dieser Zeit. Wie in einem gut gepflegten Garten, in dem jede Pflanze ihren Platz hat, sorgen unzählige Laktobazillen in der Vaginalflora für ein gesundes Gleichgewicht. Diese freundlichen Bakterien produzieren sehr viel  Milchsäure und Wasserstoffperoxid, die den pH-Wert der Vagina regulieren und eine ungastliche Umgebung für unerwünschte Bakterien und Pilze schaffen (Hemarajata & Versalovic, 2013).

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Studien zeigen, dass eine gesunde Vaginalflora das Risiko für Frühgeburten reduzieren kann. Laktobazillen wirken spezifisch gegen schädliche Keime wie Gardnerella vaginalis, die mit vorzeitigen Wehen und Blasensprüngen in Verbindung gebracht werden (DiGiulio et al., 2015). Auch gibt es Daten, die darauf hindeuten, dass bei Besiedelung mit B-Streptokokken spezifische Probiotika-Einnahmen einen günstigen Einfluss auf das Keimspektrum nehmen können.

Die Plazenta: Ein kleiner, aber bedeutender Garten

Bis vor kurzem glaubte man, die Plazenta sei steril. Heute wissen wir, dass auch sie ein eigenes Mikrobiom besitzt. Dieses Mikrobiom spielt eine Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems deines Babys und kann seine Gesundheit langfristig beeinflussen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Das plazentare Mikrobiom besteht hauptsächlich aus Bakterien, die auch im Mund der Mutter vorkommen.Das orale Mikrobiom sowie die Mundhygiene und Zahngesundheit spielen daher eine tragende Rolle. Veränderungen im plazentaren Mikrobiom werden z.B. immer öfter auch mit Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie in Verbindung gebracht (Aagaard et al., 2014).

Die Geburt: Ein erster Spaziergang durch den Garten

Während einer vaginalen Geburt taucht dein Baby in den mikrobiellen Garten deiner Mutter ein. Es kommt erstmals mit den Bakterien aus der Vagina und dem Darm der Mutter in Kontakt. Dieser erste Spaziergang durch den geheimen Garten legt den Grundstein für das Mikrobiom des Neugeborenen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Babys, die vaginal geboren werden, haben ein vielfältigeres und gesünderes Mikrobiom, was ihr Immunsystem stärkt und sie vor Allergien und Autoimmunerkrankungen schützt (Dominguez-Bello et al., 2010).

Vaginal Seeding

Babys, die per Kaiserschnitt geboren werden, fehlen die ersten Kontakte mit den mütterlichen Vaginalkeimen. Vaginal Seeding – das Einreiben des Neugeborenen mit Vaginalsekret der Mutter – kann helfen, diesen wichtigen mikrobiellen Transfer zu imitieren.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Forschung zeigt, dass Kaiserschnitt-Babys, die Vaginal Seeding erhalten, ein Mikrobiom entwickeln, das dem von vaginal geborenen Babys ähnlicher ist, was ihr Risiko für Allergien und Autoimmunerkrankungen reduzieren kann (Dominguez-Bello et al., 2016).

 

Muttermilch: Ein probiotischer Nektar

Nach der Geburt wird dein Baby weiterhin mit dem geheimen Garten seiner Mutter verbunden – diesmal durch die Muttermilch. Früher hat man angenommen, Muttermilch sei eine sterile Flüssigkeit, doch heute weiß man, dass genau das Gegenteil der Fall ist Muttermilch ist ein prä- & probiotischer Powercocktail. Sie ist hochkomplex, biodynamisch, perfekt auf dein Baby angepasst und voller Leben, denn sie enthält neben zahlreichen Nährstoffen und immunologisch wirksamen Substanzen auch wertvolle Bakterien, die das Darmmikrobiom des Babys fördern. Erst vor einigen Jahren wurde der sog. „entero-mammary-pathway“ entdeckt: ein Transportpfad, über den deine Darmbakterien bereits während der Schwangerschaft mit Hilfe besonderer Transportzellen über die Blutbahn in das Drüsengewebe deiner Brust kommen, es besiedeln und in die Muttermilch abgegeben werden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Studien haben gezeigt, dass Muttermilch mehr als 10 Millionen Bakterien pro Milliliter enthält, darunter Laktobazillen und Bifidobakterien. Diese fördern eine gesunde Darmflora und schützen das Baby vor Infektionen und Entzündungen (Cabrera-Rubio et al., 2012). Diese Bakterien tragen auch zur Entwicklung eines gesunden Immunsystems bei und helfen dem Baby, Nahrung effizient zu verdauen und Nährstoffe aufzunehmen.

Das Mikrobiom und seine Schutzwirkung in der Stillzeit

Das Mikrobiom in der Brust der Mutter spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Bestimmte Bakterienstämme in der Muttermilch können Brustentzündungen (Mastitis) vorbeugen und behandeln.

Wissenschaftliche Erkenntnisse: Eine Studie zeigte, dass Frauen, die probiotische Supplemente mit L. salivarius und L. gasseri einnahmen, signifikant weniger unter Mastitis litten als die Placebo-Gruppe (Arroyo et al., 2010).

Fazit

Wie in einem geheimen Garten ist das Mikrobiom während der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit ein lebendiges und dynamisches System, das entscheidend für die Gesundheit von Mutter und Kind ist. Die Pflege dieses mikrobiellen Gartens durch eine gesunde Vaginalflora, natürliche Geburt und Stillen schafft die besten Voraussetzungen für ein starkes Immunsystem und eine gesunde Entwicklung des Babys. Im ersten Lebensjahr deines Babys entwickelt sich der mikrobielle Garten rasant weiter. Jede Interaktion mit der Umwelt, jede Berührung, jeder Schluck Muttermilch und jedes neue Nahrungsmittel führt zur Einführung neuer "Pflanzen" in diesem Garten. Aber auch die folgenden Jahre sind entscheidend dafür, welche zarten Pflanzen und Triebe zu starken Gewächsen heranreifen und dem Garten seinen einmaligen Charakter und sein typisches Aussehen verleihen werden... Unser Mikrobiom entwickelt sich dabei so individuell wie unser Fingerabdruck. Es wird durch viele Faktoren moderiert, darunter unsere Gene, Ernährung, Umwelteinflüsse und allgemeine Lebensweise. Schon geringfügige Veränderungen in diesen Bereichen können erhebliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung und Funktion unseres Mikrobioms haben.

 

Ein paar praktische Tipps für eine gesunde Mikrobiom-Entwicklung

1.         Natürliche Geburtsmethoden fördern: Wo möglich, sollte eine natürliche Geburt angestrebt werden, um die optimale Übertragung des Mikrobioms zu gewährleisten.

2.         Stillen fördern: Stillen ist eine der effektivsten Methoden, um das Mikrobiom des Babys zu stärken. Muttermilch enthält nicht nur wichtige Nährstoffe, sondern auch probiotische Bakterien, die das Immunsystem des Babys unterstützen.

3.         Gesunde Ernährung der Mutter fördern: Eine Ernährung reich an Ballaststoffen, fermentierten Lebensmitteln und verschiedenen Gemüsesorten kann das mütterliche Mikrobiom positiv beeinflussen und somit auch das des Babys.

4.         Umgang mit Hygiene reflektieren: Während Hygiene wichtig ist, kann übertriebene Sauberkeit die Entwicklung eines robusten Mikrobioms behindern. Eine Balance zu finden, die das Kind schützt, ohne es von wichtigen mikrobiellen Einflüssen zu isolieren, ist entscheidend.

5.         Babys Bauch checken & ggf. eine gemeinsame Mikrobiom-Therapie erwägen: Wenn es in den ersten Monaten - Jahren zu unerwünschten Entwicklungen kommt, wie z.B. notwendige Gabe von Antibiotika, Bauchgeburt ohne VaginalSeeding, gescheiterte Stillbeziehung, Ernährung mit synthetischer Säuglingsnahrung etc. kann für euch eine Mikrobiomtherapie sinnvoll sein. Sie schenkt euch einen einzigartigen Weg, wie ihr individuell einen wichtigen Einfluss auf die weitere Entwicklung eurer Darmgesundheit und Mikrobiologischen Vielfalt nehmen könnt.

 

Referenzen:

  • Sender, R., Fuchs, S., & Milo, R. (2016). Are we really vastly outnumbered? Revisiting the ratio of bacterial to host cells in humans. Cell, 164(3), 337-340.

  • Lynch, S. V., & Pedersen, O. (2016). The human intestinal microbiome in health and disease. New England Journal of Medicine, 375(24), 2369-2379.

  • Hemarajata, P., & Versalovic, J. (2013). Effects of probiotics on gut microbiota: mechanisms of intestinal immunomodulation and neuromodulation. Therapeutic Advances in Gastroenterology, 6(1), 39-51.

  • DiGiulio, D. B., Callahan, B. J., McMurdie, P. J., Costello, E. K., Lyell, D. J., Robaczewska, A., ... & Relman, D. A. (2015). Temporal and spatial variation of the human microbiota during pregnancy. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112(35), 11060-11065.

  • Aagaard, K., Ma, J., Antony, K. M., Ganu, R., Petrosino, J., & Versalovic, J. (2014). The placenta harbors a unique microbiome. Science Translational Medicine, 6(237), 237ra65-237ra65.

  • Dominguez-Bello, M. G., Costello, E. K., Contreras, M., Magris, M., Hidalgo, G., Fierer, N., & Knight, R. (2010). Delivery mode shapes the acquisition and structure of the initial microbiota across multiple body habitats in newborns. Proceedings of the National Academy of Sciences, 107(26), 11971-11975.

  • Cabrera-Rubio, R., Collado, M. C., Laitinen, K., Salminen, S., Isolauri, E., & Mira, A. (2012). The human milk microbiome changes over lactation and is shaped by maternal weight and mode of delivery. The American Journal of Clinical Nutrition, 96(3), 544-551.

  • Arroyo, R., Martín, V., Maldonado, A., Jiménez, E., Fernández, L., Rodríguez, J. M. (2010). Treatment of infectious mastitis during lactation: antibiotics versus oral administration of Lactobacilli isolated from breast milk. Clinical Infectious Diseases, 50(12), 1551-1558.

  • Dominguez-Bello, M. G., De Jesus-Laboy, K. M., Shen, N., Cox, L. M., Amir, A., Gonzalez, A., ... & Clemente, J. C. (2016). Partial restoration of the microbiota of cesarean-born infants via vaginal microbial transfer. Nature Medicine, 22(3), 250-253.

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